Nach Jahrzehnten der Verborgenheit: Jüdische Grabsteine endlich geborgen

In der vergangenen Woche wurde auf Geheiß des Bauamts die eingefallene Mauer an der Allerheiligenbergstraße, unweit der dritten Rosenkranzkapelle, durch eine Gabionenwand ersetzt. Im Zuge der Baggerarbeiten tauchten Grabsteinfragmente auf, die hier seit Jahrzehnten vermauert waren.

Es handelt sich um jüdische Grabsteine, die bis in die 1940er Jahre auf dem ehemaligen Judenfriedhof Niederlahnstein standen. Die bis 1969 selbstständige Stadt Niederlahnstein hatte nämlich einen eigenen jüdischen Friedhof im Distrikt Lag. Da die Anzahl der jüdischen Bewohner gegen Ende des 19. Jahrhunderts stark abnahm und sie der jüdischen Kultusgemeinde Oberlahnstein angehörten, ließen sie sich nach 1917 in Oberlahnstein bestatten. Der Friedhof blieb erhalten, denn nach jüdischem Ritus steht den Toten ewiges Ruherecht zu.

Die Grabsteine in Niederlahnstein blieben folglich stehen bis die Ratsherrensitzung, so hieß der Stadtrat in der NS-Zeit, am 18. Dezember 1942 beschloss, die Friedhofsparzelle „mit Rücksicht auf die heutigen Zeitverhältnisse“ wieder der benachbarten Waldparzelle zuzuteilen. Mit Genehmigung des Katasteramtes wurde die Distriktbezeichnung „Judenkirchhof“ gelöscht. Die noch vorhandenen Grabsteine wurden in den 1940er Jahren sukzessive zu verschiedenen Zwecken verwendet, wie zur Aufschüttung für Feldwege oder eben als Mauersteine zur Hangabsicherung.

Bereits Hans G. Kuhn hat in seinem 2013 veröffentlichten Buch „Was geblieben ist. Spuren jüdischen Lebens in Lahnstein“ die auf zeitzeugen beruhende Vermutung geäußert, dass die verschollenen Grabsteine des Friedhofs hier zweckentfremdet wurden. Daher hat Stadtarchivar Bernd Geil in Absprache mit dem Bauamt rechtzeitig die beauftragte Abbruchfirma angewiesen, Fundstücke zu sichern. Insgesamt konnten Fragmente von drei Grabsteinen ausfindig gemacht werden. Die geborgenen Teile haben hebräische Inschriften. Auf einem sind auch noch einige Buchstaben des Namens und das Geburtsjahr lesbar, nämlich von Jacob Gutenberg.

Im Stadtarchiv Lahnstein ist eine Niederlahnsteiner Bürgerliste aus der Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten, in der auch Jacob Gutenberg, geboren 1808 als Jacob Bärmann, aufgeführt ist. Als die Juden einen festen Familiennamen annehmen mussten, legte sich seine Familie den Namen „Gutenberg“ zu. 1843 bekam er das Bürgerecht. Gutenberg war verheiratet und verstarb bereits 1847.

Zurück zur Geschichte des Judenfriedhofs Niederlahnstein: Auf eine 1946 gestellte schriftliche Anfrage des Landrats im Auftrag der Bezirksregierung Montabaur nach jüdischen Friedhöfen wurde seitens der Stadtverwaltung Niederlahnstein nicht reagiert. Das ehemalige Friedhofsgelände wurde im oberen Teil um 1955 mit Erdaushub von den im Lag erbauten Häusern etwa fünf Meter hoch auf das Niveau des Unteren Lagwegs aufgefüllt, die darauf stehenden Kastanienbäume gefällt und die Parzelle als Abstellplatz für Geräte des städtischen Bauhofs benutzt. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1957 machte die Bezirksregierung, nachdem sie von dem ehemaligen Friedhof Kenntnis erlangt hatte, den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz darauf aufmerksam und bat um Stellungnahme zur geplanten Entwidmung. Fünf Tage später gab der Landesverband ohne jede Kenntnis der Vorgeschichte seine Zustimmung. Grabsteine waren damals nicht mehr vorhanden. Daraufhin erteilte die Bezirksregierung am 25. November 1957 die Genehmigung zur Entwidmung – obwohl nach jüdischem Glauben Friedhöfe nicht aufgelöst werden dürfen.

1968 verkaufte die Stadt Niederlahnstein die Parzelle – entgegen des Protests mehrerer Bürger – zur Bebauung mit Wohnhäusern. Während der Verhandlung am 21. März 1969 erhob die jüdische Kultusgemeinde Koblenz zunächst Einspruch. Ihr wurde von der Stadt Niederlahnstein mitgeteilt, dass das Gelände „niemals im Eigentum der Judenschaft gewesen sei“ und die Stadt deshalb über das Grundstück frei verfügen könne. Vier Wochen später zog sie ihren Einspruch zurück mit der Begründung, sie mache keine Ansprüche mehr geltend, weil festgestellt worden sei, dass „das betr. Gelände immer im Besitz der Stadt Niederlahnstein gewesen und die Entwidmung ordnungsgemäß durchgeführt worden sei.“ Sodann erfolgten die Kaufabwicklung und der Bau von zwei Wohnhäusern auf dem Gelände.

Heute erinnert nichts mehr an den jüdischen Friedhof von Niederlahnstein. Die jetzt geborgenen Fragmente von drei Grabsteinen wurden auf dem Friedhof am Ahlerweg entlang der hinteren Friedhofsmauer abgelegt. Der Schlüssel zum Friedhof kann im Stadtarchiv Lahnstein ausgeliehen werden.