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UNESCO Welterbe
28. März 2024 Kategorie: Pressemitteilungen

Eindrucksvolle Erinnerungen an jüdisches Schicksal

Stadtarchiv Lahnstein erhielt Sträflingskleidung und Flucht-Notizbuch der Hilde Emmel

Horst Emmel bei der Übergabe der Erinnerungsstücke im Stadtarchiv Lahnstein (Foto: Julia Schmidt)

Auszug aus dem Tagebuch der Hilde Emmel (Foto: Sammlung Stadtarchiv Lahnstein)

Dem Stadtarchiv Lahnstein wurden zwei ganz besondere Erinnerungsstücke gestiftet, die an unsagbar großes Leid im Dritten Reich erinnern: Horst Emmel übergab ein schwarzes Büchlein sowie einen Ärmel der Sträflingskleidung seiner Stiefgroßmutter, an dem noch der zweifarbige Judenstern (rot / gelb) für rassisch-politische Häftlinge angenäht ist, an Stadtarchivar Bernd Geil. Hilde Emmel trug diese Kleidung von August 1943 bis Ende April 1945 im Frauen-KZ Ravensbrück, wo sie Zwangsarbeit leisten musste.

Nach dem Holocaust kehrte sie als einzige Jüdin nach Lahnstein zurück. Hier in der Johannesstraße, wo heute drei Stolpersteine an ihre beiden ermordeten Brüder Hans und Paul Levi sowie an ihren Schwager Max Wunsch erinnern, wurde sie 1906 als zweite Tochter des jüdischen Kaufmanns Siegfried Levi und seiner Frau Laura geboren. 1930 heiratete sie den Witwer Heinrich Emmel, einen Protestanten, und lebte mit ihm und seinem Sohn Heinrich Junior in der Schillerstraße.

Während ihre Schwester Jenny gemeinsam mit ihrem Ehemann bereits kurz nach der Machtergreifung der NSDAP nach Deventer in Holland emigriert war – hierhin floh 1935 auch ihr Bruder Hans – wurden Hilde und ihr Bruder Paul im Sommer 1941 mit den verbliebenen Juden der Region von den Nationalsozialisten gezwungen, nach Friedrichssegen in die leerstehenden Häuser des Tagschachts umzuziehen. Sie lebten dort unter miserablen Lebensbedingungen und mussten in einem 3 km entfernten Ton- und Dachziegelwerk Zwangsarbeit leisten. Da ihr Mann Christ war, bekam Hilde Emmel eines Tages die Erlaubnis, nach Hause zu gehen, während alle anderen im Sommer 1942 in die Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden. Ehemann und Sohn standen bereits seit Kriegsausbruch als Soldaten an der Front. Hilde Emmel wurde zur Arbeit in den Didier-Werken zwangsverpflichtet. Auf eine Vorladung zur Gestapo hin, versuchte sie sich zu töten. Als das misslang, wurde sie von dem Polizisten, der sie abholen sollte, ins Krankenhaus und am nächsten Tag im Zug nach Frankfurt gebracht. Drei Monate wurde sie im Polizeigefängnis inhaftiert. Ende August 1943 wurde sie von der SS über Halle und Berlin ins Frauen-KZ Ravensbrück (Stadt Fürstenberg / Havel) verschleppt. Sie erhielt eine Häftlingsnummer sowie zuvor genannten Stern und leistete Zwangsarbeit für Siemens & Halske.

Als sich die Rote Armee Ende April 1945 dem Konzentrationslager Ravensbrück näherte, wurde sie zusammen mit mehr als 20.000 Häftlingen auf den sogenannten „Todesmarsch“ nach Norden und Westen getrieben. Und genau hier begann Hilde Emmel Tagebuch zu führen. In einem schwarzen Notizbüchlein, in das sie in ihrer Lagerzeit zahlreiche Koch- und Backrezepte in feinstem Sütterlin eingetragen hatte, notierte sie – versteckt zwischen den Rezepten, um nicht aufzufallen, wenn die SS sie einmal bei einem Eintrag erwischen würde – in chronologischer Abfolge den tagelangen Marsch. Es gab nichts zu essen. Mit schmerzenden Füßen wurden sie durch Wälder, Dörfer und Städte, in denen sich die deutsche und die russische Armee ein letztes Mal kämpfend gegenüberstanden, von der SS gnadenlos angetrieben.

Im „Belower Wald“ gelang ihr am 1. Mai mit acht anderen Mithäftlingen die Flucht. Sie waren endlich frei, aber vollkommen entkräftet und dem Hungertod nahe. Zunächst fanden sie bei einem Bauern Unterschlupf und Nahrung. Als dieser vor den Russen geflüchtet war, nahmen sich die ehemaligen Häftlinge der zurückgelassenen Vorräte an. Von Mitte Mai bis August 1945 verlief nun der lange Marsch bzw. die Fahrt über Magdeburg, Erfurt nach Eisenach in Richtung Heimat. Streckenweise wurden sie von russischen Autos mitgenommen oder fuhren auf Güterwagen mit, aber die meiste Zeit ging die kleine Gruppe zu Fuß in ständiger Angst vor nächtlichen Überfällen und Vergewaltigungen. In Eisenach erfuhren sie, dass ein Zug für „KZ-Leute“ bereitgestellt wurde. Der Kommandant genehmigt ihnen die Mitfahrt „nach Hause“. Es dauerte noch gut zwei Wochen bis der Transport durchführbar war. Hier enden die Eintragungen im Tagebuch am 14. August 1945.

Hilde Emmel hatte den Holocaust überlebt und kehrte nach Lahnstein zurück. Ihr Ehemann und der Sohn kamen 1947 und 1948 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. 1965 starb Heinrich Emmel. Hilde Emmel blieb bis ins hohe Alter ein treues Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde Koblenz – in Lahnstein hatten die Nazis die jüdische Kultusgemeinde ausgelöscht. In ihren letzten Lebensjahren stand sie vielen Jugendlichen als leidgeprüfte Zeitzeugin Rede und Antwort. Dabei hatte sie immer das als Notizbuch für Koch- und Backrezepte getarnte Tagebuch.

Seit 1992 waren ihre eindrucksvollen Berichte aus grausamer Zeit Auslöser für eine Lahnsteiner Schülergruppe für die Errichtung eines Mahnmals in Friedrichssegen zu kämpfen. Vier Jahre dauerte der Einsatz der Gruppe, bis es zur Verwirklichung des Mahnmals kam. Auf drei Säulen aus Sandstein sind die Namen der 51 bekannten Opfer aus dem gesamten Mittelrheingebiet eingraviert, die in Friedrichssegen Zwangsarbeit leisten mussten, bevor sie von hier zu den Todeskammern gebracht wurden. Zehn Monate bevor das Mahnmal im November 1996 eigeweiht wurde, starb Hilde Emmel hochbetagt in einem Lahnsteiner Altenheim.

Stadtarchivar Bernd Geil dankte Herrn Emmel ganz herzlich für die beiden Zeitzeugnisse, die zukünftig bei Führungen gezeigt und ausgestellt werden sollen, um an den Holocaust zu erinnern und zu mahnen, dass es nie wieder dazu kommt.