Kriegsende am Rhein-Lahn-Eck vor 80 Jahren

Als am 11. März 1945 die ersten Artilleriegranaten von der gegenüberliegenden Rheinseite auf die Städte Ober- und Niederlahnstein schlugen, ahnten die Bürger, dass die Einnahme ihrer Städte unmittelbar bevorstand. Die amerikanischen Truppen waren in den ersten Märztagen auf der linken Rheinseite, über die Hunsrückhöhen kommend, bis Kapellen-Stolzenfels vorgedrungen. Sperrtruppen der deutschen Wehrmacht hielten das rechte Rheinufer besetzt, hatten Schützengräben aufgeworfen und Maschinengewehrnester sowie Flakgeschütze an gefährdeten Punkten eingebaut, um die erwartete Rheinübergänge des Gegners abwehren zu können.

Beide Lahnstädte lagen jetzt ständig unter Artilleriebeschuss und unter Maschinengewehrfeuer. Alles, was an Bewegung erkennbar war, wurde unter Feuer genommen. Das Alte Rathaus, zahlreiche Wohnhäuser in der Hochstraße, Adolfstraße, Rödergasse und im Blankenberg wurden stark beschädigt, mehrere Menschen starben. Die Stadtverwaltung Oberlahnstein hatte ihre Diensträume in den Keller des Rathauses verlagert, das Stadtbauamt war in einem Stollen ausgelagert, der beim Krankenhaus in den Berg getrieben worden war. Die meisten Mitarbeiter waren ohnehin zum Kriegsdienst eingezogen.

Der größte Teil der Bevölkerung hatte sich schon nach den schweren Bombenangriffen im November und Dezember 1944 ins Hinterland in Sicherheit gebracht. Die zurückgebliebene Bevölkerung suchte Zuflucht in den Kellern und Bunkern. Hier aß, wohnte und schlief man angekleidet wochenlang. Von Weltuntergangsstimmung bis Erleichterung unterschieden sich die Gefühle der Menschen auf die bevorstehende Befreiung vom nationalsozialistischen Regime.

Die meisten Parteigrößen hatten sich bereits in Sicherheit gebracht. Reste der über den Rhein fliehenden deutschen Truppen versenkten alle im Hafen gelegenen Schiffe und Kähne. Sie bezogen neue Stellungen auf dem Lichterkopf, im Aspich und in der Lahnhöll, um den feindlichen Vormarsch aufzuhalten. Daher dehnte die amerikanische Artillerie ihren Beschuss auf die angrenzenden Berghöhen aus. Das Stadtgebiet von Ober- und Niederlahnstein geriet in die Schusslinie der Geschütze beider Seiten, die sich nun tagelang heftige Gefechte lieferten.

Ein Kurier des NSDAP-Kreisleiters erschien am 18. März beim amtierenden Bürgermeister, dem Beigeordneten Jakob Bollinger, und übergab den Befehl, die Stadt Oberlahnstein sofort von der Zivilbevölkerung räumen zu lassen, da die Stadt „bis zum Letzten“ verteidigt werden solle. Die Bevölkerung sei in den Raum Katzenelnbogen zu evakuieren. Da die Ausführung dieses Befehls aufgrund des ständigen Artillerie- und Maschinengewehrfeuers zweifellos viele Menschenleben gefordert hätte, verweigerte Bollinger den Gehorsam und rettete damit vielen Menschen das Leben. Dem Kurier antwortete er: „Wenn der Dicke ebbes will, soll er selbst nach Owerlohnschde komme“. In Niederlahnstein hintertrieb Bürgermeister Weinem die Durchführung des Parteibefehls, die Bevölkerung von Niederlahnstein über die Lahn zu evakuieren, indem er diesen nicht an die Bevölkerung weitergab.

Am frühen Morgen des 20. März hatten deutsche Soldaten alle vier über die Lahn führenden Brücken –  Eisenbahnbrücke, Lahnbrücke, C.-S.Schmidt- Brücke und Hohenrheiner Brücke – gesprengt, um den Vormarsch der Amerikaner aufzuhalten, da Koblenz vom Gegner eingenommen worden war. Die Explosionswelle war so gewaltig, dass die in der Nähe gelegenen Wohnhäuser schwerste Beschädigungen erlitten.

Am Nachmittag tönte vom anderen Rheinufer eine sehr laute Stimme in anglo-amerikanischem Akzent durch Lautsprecher in etwa: „Bürger von Ober- und Niederlahnstein, kommt heraus aus euren Häusern. Unsere Artillerie ist nicht auf euch gerichtet. Setzt zum Zeichen, dass ihr die Stadt übergeben wollt, weiße Flaggen. Tut ihr das nicht, kommt ein großer Bombenangriff auf eure Stadt.“ Dieser Aufforderung, weiße Flaggen zu hissen, kamen viele Bürger spontan nach. Sofort aber zogen deutsche Soldaten im Auftrag der deutschen Ortskommandanten beider Städte durch die Straßen und verboten dieses Tun energisch mit der Androhung sofortiger Erschießung, weil sie Lahnstein nicht kampflos preisgeben wollten. In Oberlahnstein ereignete sich ein tragischer Zwischenfall. Nachdem gerufen wurde, die Flaggen seien sofort wieder einzuziehen, stieg Bäckermeister Josef Rätz auf das Dach seines Hauses in der Burgstraße, um die weiße Fahne einzuholen. Dabei wurde er von einem Unbekannten erschossen.

Die Kaiser-Wilhelm-Schule im Februar 1945, durch Artillerie schwer getroffen. Vorne links ist der Eingang zum Deckungsgraben zu sehen.

Dass trotz Einholung der Fahnen die von den Amerikanern angedrohte Zerstörung Oberlahnsteins unterblieb, war wohl der mutigen Tat dreier Lahnsteiner zu verdanken: Peter Hilger, Jakob Kuhn und Paul Sesterhenn fuhren unter Lebensgefahr in einem Nachen über den Rhein, um den Amerikanern die Situation der Stadt darzustellen und ihnen die Kapitulation der Stadt anzubieten. So verhinderten sie das angedrohte Zerstörungswerk. Von nun an wurde nur noch die Höhe beschossen, wo die deutsche Flak stand.

In Niederlahnstein begab sich ein angetrunkener Feldwebel zu Bürgermeister Weinem ins Rathaus und erklärte ihm, er habe den Auftrag ihn zu erschießen, da er das Hissen der weißen Flaggen dulde. Nur wegen des beherzten und ruhigen Verhaltens und der Vermittlung durch einen Polizeileutnant wurde die Exekution verhindert.

Der deutsche Ortskommandant lehnte die Übergabe weiterhin ab. Er verhängte eine Ausgangssperre zwischen 21.00 und 5.00 Uhr und erklärte das Gebiet zwischen Rhein und Bahndamm zum Sperrgebiet. Am selben Tag wurde der Volkssturm aufgerufen, sich in Nastätten zu melden.

Seit 24. März schoss der Feind wieder mit Granaten auf die Stadt. In der Nacht zum 25. März setzten die Amerikaner mit Amphibienpanzern bei Rhens über den Rhein. Eine künstliche Vernebelung und die gewaltige zahlenmäßige Überlegenheit der amerikanischen Artillerie verhinderte ein Eingreifen der auf den Rheinhöhen postierten deutschen Geschütze. Am Victoriabrunnen kam es zu einem kurzen Gefecht mit dem deutschen Volkssturm.

Am 26. März setzten die Amerikaner ihren Marsch auf Oberlahnstein fort, wo sie auf keinen nennenswerten Widerstand stießen. Auch die östlich der Südallee gebildete letzte Verteidigungslinie vermochte sie nicht aufzuhalten. So auch im Haus Bröder, Südallee, worin sich ein Maschinengewehr- und Beobachtungsposten befand. Als sich ein amerikanischer Panzer näherte, wurde das Feuer auf ihn eröffnet. Dieser eröffnete ebenfalls das Feuer und traf mit einer Granate. Die deutschen Soldaten räumten den Posten und ergriffen die Flucht. Eine zweite Abteilung, von Kaub (Schlauch-Notbrücke) über Braubach und die Berghöhen in Richtung Bad Ems marschierend, drang mit ihren Panzern über die Höhe zur Burg Lahneck und zum Bergweg vor. Diese Truppe zog kämpfend weiter nach Friedrichssegen. Dabei fielen fünf deutsche Soldaten, die später in Friedrichssegen beerdigt wurden. Am Tag vor dem Einmarsch wurde der Artilleriebeschuss von Kapellen-Stolzenfels auf den Ortsteil Ahl, wo eine Ari-Stellung der Deutschen Wehrmacht angelegt war, immer heftiger. Martha Schultes aus Friedrichssegen starb dabei vor dem Haus Ahl 8 durch Artilleriesplitter.

Einen Tag später, am 27. März 1945, nahmen beide Truppenverbände – aus Richtung Ölberg und Güterbahnhof kommend – die Stadt ein. Zuvor gab es auf dem Streitacker, dem heutigen Freibadgelände, und im Gebiet des heutigen Kurzentrums noch heftige Kämpfe mit den restlichen deutschen Truppenverbänden, bei denen weitere Menschen starben. Die Soldaten der deutschen Wehrmacht ergaben sich, soweit sie sich nicht nach Bad Ems absetzen konnten. Die Amerikaner gingen in den Rathauskeller und überzeugten sich, dass alle unbewaffnet waren. Sie durchkämmten alle Straßen und Häuser nach deutschen Soldaten. Diese traten mit erhobenen Armen aus Kellern und Häusern und wurden als Gefangene hinter den Panzern eingesammelt. Mit der nun erfolgten völligen Besetzung der Stadt war der Krieg für Oberlahnstein zu Ende. Auch Niederlahnstein wurde am selben Tag von den aus Horchheim vorrückenden alliierten Truppenteilen besetzt. Am Mittag des 26. März starben sechs Kinder und zwei Erwachsene durch Artilleriebeschuss vor dem Luftschutzbunker „Kellerchen“ an der Allerheiligenbergstraße.

Viel Blut war geflossen, unzählige Bomben hatten Oberlahnstein zu ca. 38 % und Niederlahnstein zu ca. 30 % zerstört. Durch Kriegseinwirkungen starben ca. 320 Zivilisten und ca. 172 Wehrmachtsangehörige bei Kämpfen in und um Ober- und Niederlahnstein. Außerdem enthält das städtische Verzeichnis der Gefallenen 288 Wehrmachtsangehörige aus Oberlahnstein und 225 aus Niederlahnstein, die auswärts gefallenen sind. Viele, viele weitere Soldaten blieben vermisst.